Martin Werner verifiziert Krankenpfleger

Inkontinenzversorgung: Lebensqualität erhöhen

Ältere und pflegebedürftige Menschen sind besonders oft von Inkontinenz betroffen. Über 60 Prozent der versicherten Pflegebedürftigen in Deutschland, die von einem Pflegedienst versorgt werden, müssen mit einer solchen Inkontinenz umgehen – also etwa 400.000 Menschen. Dies zeigt eine wissenschaftliche Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) und der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Bei Bewohnern in Pflegeheimen ist der Anteil noch höher.

Inkontinenz, Harn- oder auch Stuhlinkontinenz sind Begriffe, die verwendet werden, wenn die Ausscheidung von Urin und Stuhl zumindest teilweise nicht kontrolliert werden kann. Ist es eine echte oder unechte Inkontinenz? Häufig auf Toilette zu müssen, ist noch keine Inkontinenz. Wohl aber, wenn Harn und Stuhl unkontrolliert abgehen.

Die körperliche Beeinträchtigung und damit verbunden die erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität bilden die eine Seite einer Inkontinenz. Viele Menschen mit Blasen- oder Darmschwäche vermeiden es aber auch, aus Scham oder Unsicherheit, aus dem Haus zu gehen. Dann drohen soziale Isolation und Einsamkeit. Damit Hilfe möglich wird, muss das Tabu gebrochen und mehr über Inkontinenz gesprochen werden. Fachlicher Rat bei einem Arzt, einer Pflegekraft oder einem Kontinenzberater einzuholen ist essenziell für Betroffene. Denn der richtige Umgang mit Blasen- und Darmschwäche ist wichtig. Dadurch können viele gesundheitliche, aber auch seelische Probleme gelindert oder sogar ganz vermieden werden. Die Lebensqualität kann erheblich verbessert werden.

Zahlreiche Krankheiten gehen beispielsweise mit einer Inkontinenz einher. Beispiele dafür sind Harnwegsentzündungen, Blasensteine, Diabetes, Harnröhrenverengungen, Schlaganfall, Querschnittslähmungen, Multiple Sklerose, Alzheimer. Frauen in den Wechseljahren sind ebenfalls davon betroffen. Auch Medikamente gegen Alzheimer oder Bluthochdruck sowie wassertreibende pharmazeutische Produkte können als Nebenwirkung eine Inkontinenz auslösen. Hier ist ein Arztbesuch empfehlenswert.

Formen der Inkontinenz
Dranginkontinenz, Belastungs- oder Stressinkontinenz und Mischinkontinenz
Wie das Wort Dranginkontinenz schon sagt, geht es um die Dringlichkeit, auf die Toilette zu müssen. Plötzlich und stark ist der Drang, der häufiger Männer als Frauen befällt. Frauen werden dagegen häufiger von der Belastungsinkontinenz erfasst. Sie kommt am häufigsten vor, belastet Frauen nach der Geburt oder übergewichtige Personen. Eine schwache Beckenbodenmuskulatur sorgt dafür, dass Niesen, Husten, Lachen oder stressige Situationen zu einem ungewollten und unkontrollierbaren Harn- oder Stuhlabgang führen. Die sogenannte Mischkontinenz ist eine Kombination aus beiden. Mit zunehmendem Alter betrifft sie häufiger das weibliche Geschlecht.

Reflexinkontinenz, Überlaufinkontinenz
Bei der Reflexinkontinenz sendet das Gehirn falsche Signale an Blase oder Darm. Unkontrollierbare Nervenreflexe oder Zuckungen sorgen dafür, dass Harn oder Stuhl, ohne den üblichen Drang, eine Toilette aufsuchen zu müssen, unkontrolliert nach außen abgegeben werden. Bei der Überlaufinkontinenz, die hauptsächlich bei Männern mit einer vergrößerten Prostata auftritt, entleert sich die Blase nicht vollständig. Die Folge ist das ständige Gefühl, auf die Toilette zu müssen.

Förderung der Kontinenz
Leiden Betroffene unter einer schwachen oder beginnenden Form der Inkontinenz, kann die Kontinenz (das „Haltenkönnen“ von Urin und Stuhl) so weit gefördert werden, dass Urin und Stuhl wieder gänzlich oder zumindest überwiegend gehalten werden können. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass Betroffene ausreichend trinken, jedoch nicht unbedingt harntreibende Getränke wie Kaffee oder Pfefferminztee. Bei zu wenig Flüssigkeitsaufnahme konzentriert sich der Urin in der Blase und löst ebenfalls den Harndrang aus. Zudem wird die Entstehung einer Blasenentzündung begünstigt.

Eine schwache Beckenbodenmuskulatur – nach Geburten, bei Übergewicht und altersbedingt ¬– kann erfolgreich trainiert werden. Beckenboden-Gymnastikübungen findet man zahlreich im Internet. Sportarten wie Gehen, Walken, Joggen, Skilaufen oder Tanzen sorgen ebenfalls für einen festen Beckenboden. Eine starke Beckenbodenmuskulatur sorgt dafür, dass Niesen, Husten, Lachen oder stressige Situationen nicht mehr zu ungewollten und unkontrollierbaren Harn- und Stuhlabgängen führen.

Das sogenannte „Toilettentraining“ ist eine präventive Maßnahme. Betroffene werden zu regelmäßigen Zeiten auf die Toilette gebracht. Zu Beginn wird tagsüber ca. alle 1,5 Stunden der Toilettengang durchgeführt, um das Intervall nach jeweils 2 Tagen immer um eine halbe Stunde zu verlängern. Hier ist es wichtig, dass der Takt der betroffenen Person beobachtet wird und die WC-Gänge dementsprechend angepasst werden. 90 Minuten vor dem Schlafen sollte die betroffene Person keine großen Flüssigkeitsmengen mehr zu sich nehmen. Auch nachts sollten zu Beginn zwei Toilettengänge im Abstand von 4–5 Stunden durchgeführt werden. Dies kann auf einen Gang reduziert werden, der zudem ganz entfallen kann. Es gibt die Möglichkeit, dass nachts ein Inkontinenzprodukt getragen und das Kontinenztraining nur am Tag durchgeführt wird. Soll das Training auch unterwegs nicht unterbrochen werden, kann sich die App WC-Finder als nützlich erweisen.

In Arztpraxen gibt es zudem beratende Fachkräfte, die Kontinenz-Sprechstunden anbieten und Betroffene unterstützen.

Intimpflege
Die Intimpflege ist beim Auftreten von Inkontinenz ein besonders wichtiges Thema, um Infektionen der Haut, zudem auch der ableitenden Harnwege (z. B. Blasenentzündung) zu vermeiden.

Für die Hautreinigung und die Reinigung des Intimbereiches reicht handwarmes Wasser aus. Als Waschlotion eignen sich z. B. pH-neutrale Syndets sehr gut. Die Intimpflege sollte mindestens einmal täglich, bei Inkontinenz mindestens zweimal täglich durchgeführt werden. Ebenfalls ist es wichtig, nach dem Wasserlassen das Toilettenpapier richtig zu benutzen, sodass keine Darmbakterien in die Harnröhre gelangen. Die Wischrichtung sollte von der Harnröhre zum Gesäß erfolgen. Auf reichhaltige Pflegecremes sollte verzichtet werden, da die Poren dadurch verstopfen. Sehr gut eignen sich „Wasser in Öl“-Emulsionen oder sogenannte „Barrierecremes“ zur Pflege im Intimbereich.

Für pflegende Angehörige ist es häufig unangenehm, die Intimpflege zu übernehmen. Zum Thema „Intimpflege bei Angehörigen“ gibt es professionelle Unterstützung. Pflegende Angehörige können sich auch von einem Pflegedienst nach § 45 SGB XI zu diesem Thema schulen lassen. Eine solche Schulung kann auch bei der Pflegekasse beantragt werden. Bei einer Bewilligung werden die Kosten vollständig übernommen.

Arten von Inkontinenzprodukten
Inkontinenzprodukte dienen dazu, unkontrollierten Harnfluss und Stuhlabgang sowie Schmierstuhl hygienisch und sicher aufzufangen.

Aufsaugende Inkontinenzprodukte
Aufsaugende Inkontinenzprodukte zum Einmalgebrauch weisen in der Regel Superabsorber auf, um Rücknässe zu verhindern. Atmungsaktive Eigenschaften wirken einem Feuchtigkeitsstau entgegen.

Einmalprodukte:
Pants Windeln Einlagen Vorlagen Netzhosen
Bei der Wahl des richtigen Produktes sind die praktische Anwendung und die Passform ebenfalls wichtige Kriterien. Es ist empfehlenswert, die verschiedenen Arten und Formen von Inkontinenzprodukten zu testen und Muster von Anbietern anzufordern. Es ist auch möglich, dass täglich unterschiedliche Produkte zum Einsatz kommen. Am Tag setzen Betroffene eher auf Diskretion und wechseln die Produkte häufiger, nachts muss ein Produkt deutlich saugfähiger sein.

Alternative Inkontinenzprodukte bei milder Form
Leiden Frauen unter einem tröpfchenweisen Urinabgang, sind Inkontinenztampons oder Silikon-Ringpessare durchaus eine Alternative. Sie müssen jedoch monatlich entfernt, gereinigt und wieder eingesetzt werden. Werden Einmalprodukte bevorzugt, können sogenannte Harnröhren-Plugs (Stöpsel für die Harnröhre) mit Ballon verwendet werden. Sie werden individuell aus Silikon angepasst und mittels Einführhilfe in die Harnröhre gegeben, der Ballon entfaltet sich anschließend. Somit kann die unkontrollierte Entleerung der Blase verhindert werden.

Leiden Männer unter einer milden Form der Inkontinenz und möchten keine aufsaugenden Inkontinenzprodukte verwenden, ist die wiederverwendbare Penisklemme mit Klettband möglicherweise eine Option. Dabei wird keinerlei Blutzufuhr behindert, sondern nur der unkontrollierte Urinabgang. Die Klemme ist aus beweglichem Kunststoff gefertigt. Das Klettband ist ebenfalls flexibel und drückt auf die Harnröhre. Für die Nacht gibt es auch die Möglichkeit, ein Kondomurinal zu verwenden, welches bei einer korrekten Passform eine sichere Versorgung bietet.

Ableitende Inkontinenzprodukte
Zur ableitenden Inkontinenzversorgung zählt unter anderem die Harnableitung mittels Einmal- und Dauerkatheter, Bauchdeckenkatheter (suprapubische Harnableitung = SPK), Nierenfistelkatheter (NFK), Urinalkondom und ggf. dazugehörige Urinbeutel sowie Zubehör.

Einmalkatheter sind für den Zweck gedacht, den Urin einmal abzulassen und gleich im Anschluss den Katheter wieder zu entfernen. Dauerkatheter hingegen verbleiben in der Blase und müssen regelmäßig gewechselt werden. Für die Verordnung eines Blasendauerkatheters muss eine medizinische Indikation vorliegen (z. B. eine Harnabflussstörung).

Technische Hilfsmittel
Technische Hilfsmittel bieten den ökonomischen Vorteil, dass sie wiederverwendbar sind. Dabei handelt es sich um Urinflaschen, Toilettenstühle (bei leichter Inkontinenz) und waschbare Bettschutzauflagen oder wasserabweisende Matratzenauflagen.

Kostenübernahme
Die für eine regelmäßige Inkontinenzversorgung benötigten Produkte fallen unter die sogenannten Hilfsmittel, auf die Betroffene einen gesetzlichen Anspruch gegenüber ihrer Krankenkasse haben. Die Inkontinenzversorgung erfolgt auf Basis eines Rezeptes innerhalb einer festgelegten, monatlichen Versorgungspauschale. Wählen Betroffene Inkontinenzprodukte, die in Qualität und Menge über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die dadurch entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen (§ 33 Absatz 1 Satz 5 SGB V).

Versorgung
Die Versorgung mit Inkontinenzprodukten erfolgt in der Regel über einen Leistungserbringer, der mit der gesetzlichen Krankenkasse einen Vertrag geschlossen hat und zur Versorgung und Abrechnung berechtigt ist. Die Krankenkasse gibt Auskunft darüber, welche Leistungserbringer die Versorgung vornehmen dürfen. Leistungserbringer können Apotheken, Sanitätshäuser oder auch Internetunternehmen sein. Ein Leistungserbringer berät die Betroffenen kostenlos rund um die Versorgung und versorgt Betroffene bedarfsgerecht mit den ausgewählten Inkontinenzprodukten.

Betroffene und Angehörige sollten gegenüber dem Leistungserbringer folgende Fragen beantworten können:
Leidet die betroffene Person unter Harn- und/oder Stuhlinkontinenz? Wie hoch ist die ungefähre Menge des unkontrolliert ausgeschiedenen Urins/Stuhls? Wann wird Urin/Stuhl unkontrolliert ausgeschieden (nur abends oder nachts)? Wie mobil ist die betroffene Person? Welchen Aktivitäten geht die betroffene Person nach? Ist die betroffene Person in der Lage, sich selbstständig mit Inkontinenzmaterial zu versorgen? Leidet die betroffene Person unter besonders sensibler Haut, insbesondere im Intimbereich?
Mit der Beantwortung wird der Leistungserbringer und Vertragspartner der Krankenkasse ein optimales Inkontinenz-Versorgungspaket zusammenstellen.